Online-Unterricht – eine Chance für den Bewegungsmarkt?

by SportsNow

Dieser Beitrag ist ein Gastbeitrag von Mariette Inderbitzin, Kommunikationsverantwortliche des Berufsverbands für Gesundheit und Bewegung Schweiz (BGB).
https://www.bgb-schweiz.ch/dienstleistungen/verbandszeitschrift-bewegung-gesundheit/

fit@home, Livestream-Yogaklassen, Online-Pilates, Bodytoning bei dir im Garten – während des Lockdowns schossen digitale Bewegungsangebote wie Pilze aus dem Boden. Hält der Trend an oder war Bewegen vor dem Bildschirm bloss eine willkommene Notlösung? Haben Online-Kurse eine Zukunft und wenn ja, in welcher Form? Ein Bericht über Vor- und Nachteile, gesammelte Erfahrungen und Zukunftsvisionen. 

Mit dem Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie erhielten Online-Bewegungskurse einen enormen Schub. Natürlich war Trainieren von zu Hause aus auch schon vor Covid-19 möglich – die beliebte Fitness-App Freeletics gibt es beispielsweise bereits seit 2013. Doch durch die Corona-Krise sattelten innerhalb weniger Wochen zahlreiche Bewegungsstudios auf den Online-Modus um, welche zuvor keinen Gedanken an Online-Unterricht verloren hatten. Inzwischen gibt es fast alles: Power-Programme, Yogalektionen, Pilates, Schwangerschaftsgymnastik- und Rückbildungskurse, Bewegungsstunden für Senioren, Tanz-Tutorials und, und, und … Die Liste ist lang. Wird diese künftig noch länger oder gehen Online-Angebote wieder zurück? Wie gut funktionieren solche Trainingseinheiten? Sind sie effizient, gesund, praktikabel? Welche Tools und Formen haben sich bewährt? 

Livestreams versus Videos

Jelan Ong, Dipl. Informatikingenieur ETH und Geschäftsführer von SportsNow, der Rundum-Softwarelösung für Bewegungsstudios, unterscheidet aktuell zwei Arten von Online-Angeboten: «Es gibt Livestreaming-Kurse und es gibt Videos. Der Livestream kommt dabei am ehesten an einen ‹echten› Kurs heran. Man sieht die anderen Teilnehmenden und die Lektion findet in Echtzeit statt», so Ong. 

Der Zoom-Boom

Eine der beliebtesten Plattformen für Online-Kurse in Echtzeit ist Zoom. Spätestens seit dem Lockdown kennt sie jeder. Das erfolgreiche amerikanische Tool für Videokonferenzen gewann durch die Krise scharenweise neue Nutzer. 300 Millionen Menschen zoomen täglich mit der App. Bis zu 40 Minuten sind gratis. Das Basis-Upgrade kostet 15 Dollar pro Monat. «Zoom hat sich durchgesetzt, einerseits durch die Medienpräsenz, andererseits durch das einfache Handling und das gute Preis-Leistungsverhältnis», sagt Jelan Ong. Neben Zoom gebe es noch andere Plattformen über die man Online-Lektionen anbieten könne, zum Beispiel Skype oder Google Hangouts. «Grundsätzlich ist dies mit jeder App möglich, welche über eine Videokonferenzfunktion verfügt», erklärt der SportsNow-Gründer. Den Vorteil von Livestreaming sieht Jelan Ong in der Kundenbindung. «Besonders während des Lockdowns wollten unsere Studios den Kontakt zu ihren Kunden möglichst aufrechterhalten und schafften somit alternative Angebote wie Livestream-Kurse.» Gegenüber Videos zeigten sich auch Nachteile. «Um Livestream-Kurse zu ermöglichen, müssen sowohl Kunden als auch Kursleitende eine neue App installieren, damit umzugehen lernen und über eine schnelle Internetverbindung verfügen. Zudem ist es für das Studio mit zusätzlichem Aufwand verbunden, sowohl für die Vorbereitung und Organisation als auch bezüglich Ausrüstung. Videos hingegen können auf jedem Smartphone, Tablet oder Computer ohne zusätzliche App beliebig oft abgespielt werden», vergleicht der Informatikexperte.  

Zusatzverdienst mit Videos

Die Vorteile von Videos hat Daniela Brügger, Pilateslehrerin, Athletiktrainerin und BGB-Mitglied, schon früh für sich entdeckt. Bereits 2017 hat sie die Idee von Video-Bewegungssequenzen hin und her gewälzt. Wurde sie damals noch belächelt, hat sie heute eigens eine separate Webseite für Online-Pilates. Sie erzählt: «Als ich damals von meiner Idee, Online-Videos zu verkaufen, erzählte, wurde ich oftmals schräg angeschaut. Meine Berufskolleginnen hielten es für unrealistisch, dass digitale Kurse für zu Hause Anklang fänden.» Von ihrer Idee überzeugt, startete sie im Frühling 2019 ein 10-wöchiges Online-Rückbildungsprogramm. Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich: Bei gewissen Kundinnen kamen die Videos total gut an, gewisse sagten, sie bräuchten ihre Trainerin vor Ort. Auf Grund einer längeren Abwesenheit während der Sommerferien nahm Daniela Brügger ein weiteres Programm auf, ein 5-Wochen-Pilates-Flow-Training. Und siehe da: Das Angebot verkaufte sich sehr gut. 

Rettungsschiff neue Technik

Daniela Brügger ist wohl eine der wenigen BGB-Mitglieder, auf welche die Corona-Krise geschäftlich eher positive Auswirkungen hatte: «Tatsächlich ist es bis jetzt mein umsatzstärkstes Jahr. Ich hatte wahrscheinlich einfach den Vorteil, dass ich schon parat war und nur noch den Hebel umschalten musste. Corona hat mir definitiv in die Hände gespielt», sagt sie offen.

Die clever aufbereiteten Trainingsvideos haben Daniela schon einmal vor einer Krise bewahrt. «Im Winter 2019/2020 hatte ich einen Skiunfall und war ans Sofa gefesselt. Die Videos retteten mich durch meine Verletzungsphase. Da ich meine Leute mit Material versorgen konnte, habe ich keinen einzigen Kunden verloren», erzählt die junge Mutter und fügt hinzu: «Das gibt mir Sicherheit.» 

Für Daniela Brügger sind die Vorteile von Bewegungsvideos klar: «Die Leute können trainieren wann es ihnen zeitlich passt und wie es ihnen passt; zum Beispiel morgens um fünf Uhr im Pyjama. Auch ich als Trainingsleiterin bin zeitlich ungebunden. Ich kann meine Sequenzen und Programme aufnehmen, wann ich will. Als Mutter eines 10-jährigen Sohns kommt mir das sehr entgegen. Ich habe einen einmaligen längeren Arbeitsaufwand, die Programme können danach jedoch x-fach wiederverkauft werden.» Trotz der Vorzüge gibt es für Daniela auch gewisse negative Aspekte im Online-Unterricht. Es sind die hohen Fixkosten für den Speicherplatz der Videos sowie die Tatsache, dass man die Leute nicht korrigieren kann. Da die meisten Konsumenten ihrer Videos bereits Kundinnen ihrer Kurse im Studio sind, relativiert sich Letzteres. Schlussendlich gebe es zwei Lager, meint Daniela. «Die einen wollen einfach ins Studio, die anderen wollen unabhängig trainieren.»

Verrat an der Pädagogik oder sinnvolle Erweiterung?

Zwei Lager gibt es auch unter den Kursleiterinnen. Gemäss unserer Umfrage zur Corona-Krise hat etwas weniger als die Hälfte der BGB-Mitglieder Online-Unterricht angeboten. Unterschiedlich fielen dann auch die Rückmeldungen zur neuen Unterrichtsform aus: «Die Reaktionen waren fantastisch! Das Angebot nahmen 55 von 75 Kunden freudig und dankbar an», schreibt ein Mitglied. Oder: «Da ich sowieso für mich alleine jeden Tag Yoga mache, konnte ich meine Anzahl Stunden im Angebot mit Livestreaming vervielfachen», lautete eine weitere Antwort.

Während für gewisse Kursleitende die Möglichkeiten der Technik ein wahrer Segen waren, konnten sich andere Mitglieder weniger mit dem Online-Unterricht anfreunden. «Die Online-Trainings empfinde ich als sehr anstrengend und für mich nicht sehr motivierend, da ich nicht auf die Kunden eingehen und keine persönlichen Korrekturen machen kann.» Einige Mitglieder gaben an, keine Online-Formate angeboten zu haben, weil es entweder von der Kundschaft nicht gewünscht und technisch nicht umsetzbar war oder weil es bereits zu viele Angebote gab. 

Folgende Vor- und Nachteile lassen sich zusammenfassend festhalten:

Vorteile

  • Ortsunabhängig: Egal wo die Leute wohnen oder sich aufhalten (zum Beispiel auf Geschäftsreise), sie können ihr Training absolvieren.
  • Zeitsparend: Der mühsame Anfahrtsweg zum Studio fällt weg.
  • Bequem: Die Teilnehmenden können im Pyjama und mit Strubbelkopf turnen.
  • Flexibel/individuell: Bei Video-Trainingseinheiten bestimmt der Kunde selbst, wann und was er trainieren will.
  • Kosten: Online-Trainings sind oft etwas günstiger angelegt, weil keine Miet- und Materialkosten für Kursleitende entstehen.
  • Erweiterte Zielgruppe: Online-Training ist attraktiv für Leute, die sich in einem Studio unwohl fühlen oder lieber alleine trainieren

Nachteile

  • Keine soziale Interaktion: weniger Zusammengehörigkeitsgefühl, vor allem, wenn nur mit Videos alleine trainiert wird.
  • Technische Hürde: Nicht alle Leute sind technisch versiert genug, um mit Online-Training umzugehen (zum Beispiel Senioren). Zusatzaufwand für den Kursleiter.
  • Korrektur: Die Kontrolle über die Umsetzung der Übungen fällt bei Video weg. Beim Livestream ist es schwieriger, die Teilnehmenden über den Bildschirm genau zu sehen, was vor allem für Anfänger problematisch ist.
  • Selbstdisziplin: Gehen die Leute bei sich zu Hause wirklich an die Grenzen? 
  • Material: Nicht alle Leute sind mit digitalen Medien oder dem Trainingsmaterial (zum Beispiel Trampolin) ausgerüstet.
  • Platz: Gewisse Disziplinen wie Tanz brauchen Platz. 
  • Grenzen der Technik: Gewisse Kursformate sind zu schnell für die Liveübertragung, die Technik stockt, Musik- und Stimmeinsatz sind schwierig zu kombinieren.

Digitale Zukunft

Wird sich Online-Training auf dem Bewegungsmarkt durchsetzen? «Ja, ich denke schon», meint Jelan Ong von SportsNow. «Wenn sich Gewohnheiten in der Gesellschaft ändern, dann hat das immer mit einschneidenden Ereignissen wie jetzt der Corona-Pandemie zu tun. Die Mehrheit unserer Kunden bietet eine Kombination aus Online und Offline an. Viele geben an, dies künftig so beizubehalten», berichtet Ong. Über 700 Studios nutzen mittlerweile die Lösung von SportsNow. Das heisst, dass circa 600 Bewegungscenter bereits zweigleisig unterwegs sind. Auch BGB-Mitglied Daniela Brügger glaubt, dass Online-Unterricht eine Zukunft hat. Ihrer Meinung nach wird es jedoch immer die zwei Lager Studiokunden und Homekunden geben. Ähnlich sieht es auch der Unternehmer: Die Zukunft werde digitaler, aber es werde wahrscheinlich immer eine Mischung aus real life und digital geben, so seine Prognose.